Geht die Menschlichkeit, kommt das Trauma

Es ist ein Bild, was mir unter die Haut ging. Eine einfache Decke auf der Straße, auf der vier kleine Kinder schlafen, zugedeckt mit einer dünnen Decke. Das jüngste Kind ist schätzungsweise gerade mal ein Jahr alt. Ein Jahr! Nichts mit kuscheligem Bett, warmer Decke und beschützter Umgebung.

Das Bild hat mich extrem getriggert, weil ich selbst zwei kleine Kinder habe, die ich beschützen und beschützt wissen möchte. Wenn ich mir vorstelle, dass ich gerade fast alles verloren hätte – ein Dach über dem Kopf, Kleidung, Essen, Trinken, womöglich noch meine Papiere – und mir keiner sagen kann (oder will) wie es weitergeht, meine Kinder auf der Straße schlafen müssen, Essen und Trinken knapp sind und die Polizei Wasserwerfer auffährt – dann hätte ich eine Scheißangst. Es wäre die blanke Hilflosigkeit und Ohnmacht. Traumatisierung pur.

Vor ein paar Tagen brannte das Flüchtlingslager in Moria komplett ab. Es wurde relativ schnell der Verdacht geäußert, dass es ein paar Flüchtlinge selbst waren, die das Feuer gelegt haben. Die breite Masse der ca. 12.000 Flüchtlinge hat dies aber nicht getan und hat zu dem Zeitpunkt geschlafen. In Zelten, provisorischen Unterkünften und weiß der Geier was, wo sie „wohnen“ mussten. Und nein, dieses Lager war bestimmt nicht ein hoffnungsvoller Wohnort!!

Nun haben sie nichts mehr. Das wenige, was sie hatten, ist abgefackelt.

Und was machen unsere Politiker?

Sie haben Angst vor der nächsten Wahl, wenn sie zu viele Menschen nach Deutschland holen. Verdammt. Es sind Menschen, die in Moria leben. Menschen! Wie du und ich. Mit den gleichen Ängsten, Sorgen und Hoffnungen. Jeder möchte in Sicherheit leben, ein Dach über dem Kopf und genügend Essen und Trinken haben. Es sind die elementaren Grundbedürfnisse.

Die Menschen, die seit Monaten im Lager von Moria gelebt haben, sind nicht nur durch die Flucht (aus welchen Gründen auch immer!) traumatisierte worden, sondern auch im Lager selbst. Sie stecken quasi im Gefängnis ohne Anklage, um es mal krass auszudrücken. Dass sie jetzt unter freiem Himmel schlafen müssen, die Polizei in Griechenland ihre Wasserwerfer postiert und die Menschen einfach nicht mehr weiter wissen, traumatisiert ein weiteres Mal! Und nicht nur die Erwachsenen, sondern insbesondere auch die Kinder! Denn das Trauma der Kinder, können deren Eltern nicht auffangen, da sie mit ihrer eigenen Traumatisierung zu kämpfen haben.

Warum haben so viele Menschen in Deutschland Vorbehalte gegenüber Flüchtlingen?

Ist es das Fremde? Andere Kultur? Andere Sprache? Die Angst selbst zu kurz zu kommen? Vor potenziellen Vergewaltigern und Mördern?

Dass der Mensch Angst vor dem Fremden hat, ist nicht neu. Schon Freud hat es als „Signalangst“ bezeichnet. Wir kommen als Neugeborene in eine Welt, in der zunächst alles fremd ist und ohne Regeln. Wir sind ausgeliefert und zu 100% abhängig. Auf der anderen Seite fasziniert uns das Fremde. Kleine Kinder wollen zu dem (neuen) Spielzeug hin, finden andere fremde Kinder spannend und schauen ihnen zu. Diese Ambivalenz gegenüber dem Fremden behalten wir ein Leben lang bei. Es sind unsere Erfahrungen vor allem in der frühen Kindheit (Stichwort: sichere vs. unsichere Bindung), die in uns entweder die Angst oder die Neugier überwiegen lassen. Bei einigen Mitmenschen überwiegt ganz deutlich die Angst vor den fremden geflüchteten Menschen.

Unsere Angst vor den fremden Menschen lässt uns kaltherzig werden. Moria ist gefühlt weit weg und wir können es gut verdrängen. „Wir können ja nicht die ganze Welt retten.“ Stimmt, können wir nicht. Aber wir können wenigstens auf europäischem Boden Menschlichkeit walten lassen und die geflüchteten Menschen so in Sicherheit bringen, dass sie auch eine Zukunft haben. Allen voran die Kinder, die ihr gesamtes Leben und Zukunft noch vor sich haben und deren Träume nicht im Dreck von Moria ersticken sollen.

Die fehlende Menschlichkeit macht das Trauma umso größer. Es vermittelt den Menschen, dass sie nichts wert sind. Weggeworfen wie Müll.

Was würden wir für uns wünschen, wenn wir in einer Notsituation wären? Das jemand mit Pfefferspray vor uns steht? Oder das jemand seine Hand ausstreckt und uns die Hoffnungslosigkeit etwas nimmt?

In meinem Entsetzen über die Bilder, die ich über die Kinder von Moria sehe, bin ich gleichzeitig auch hilflos. Ich fühle mich als kleines Licht, was kaum etwas bewirken kann. Klar, Petition und noch eine Petition unterschreiben, Spenden etc., aber ich würde mir wünschen, dass sich sofort etwas ändert. Alle Kinder in Sicherheit und in beschützter Umgebung wissen. Ist das nur mein idealisierter Traum als Mutter? Oder können wir tatsächlich erreichen, dass dieses Elend in Griechenland zügig aufhört?

Anna von Finanzmedicus

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