Nettovermögen? Armes Deutschland?

Dieser Artikel ist vor zwei Jahren erschienen und wurde von mir aktualisiert, da das Thema nach wie vor sehr wichtig ist. Ein Tweet von Karl Lauterbach hat mich dazu veranlasst, einfach mal genauer zu schauen was es mit dem Nettovermögen und dem Vermögensaufbau „fast nur noch durch Erbe“ auf sich hat. Denn diese zwei Thesen in Kombination in diesem Tweet erschienen mir doch etwas gewagt. Hier zunächst erst einmal der Text dazu:

Welche Aussagen stören mich?

Nettovermögen Hälfte der Bevölkerung beträgt nur 3600 Euro.

Vermögen lässt sich fast nur noch durch Erbe aufbauen.

Welche Aussage finde ich definitiv richtig?

Das materielle Unsicherheit unglücklich macht. Hierzu habe ich bereits einen Artikel geschrieben, ob Geld glücklich macht.

Aber nun der Reihe nach. Wie hoch ist denn das Nettovermögen der Deutschen? Und wie ist das Median-Nettovermögen (nichts anderes bedeutet ja „Hälfte“ in diesem Tweet)?

Nettovermögen in Deutschland

Das Nettovermögen im Durchschnitt lag 2018 in Deutschland pro Haushalt bei 162.600 Euro (Quelle). Klingt zunächst gar nicht so schlecht. Aber wie das mit Durchschnitten so ist, kann hier eine starke Verzerrung auftreten, wenn das Pro-Haushalts-Einkommen sehr unterschiedlich verteilt ist.

Beispiel: Wenn von 5 Haushalten 1 Haushalt ein Vermögen von 1 Million Euro hat, die anderen 4 aber nur 1000 Euro Vermögen besitzen, beträgt der Durchschnitt 200.800 Euro, obwohl das die Realität überhaupt nicht adäquat abbildet. Beim Median werden die Haushalte nach dem Vermögen geordnet und der Haushalt in der Mitte, gibt den Median an. Der Wert wäre hier 1000 Euro Vermögen. Was für 80% der Haushalte in diesem Beispiel zutreffend ist.

Zurück zur Realität: Wie ist denn nun das Netto-Vermögen in Deutschland im Median verteilt?

Laut der Bundesbank lag das Netto-Vermögen im Median in Deutschland 2017 bei 70.800 Euro.

Quelle: https://www.bundesbank.de/resource/blob/794130/d523cb34074622e1b4cfa729f12a1276/mL/2019-04-vermoegensbefragung-data.pdf

Wie könnte nun Herr Lauterbach auf die Zahl 3600 Euro gekommen sein? Er bezieht sich auf einen Artikel aus der Zeit. Und diese wiederum auf einen Artikel bzw. Statistik des DIW. Dort wird allerdings nicht das Median-Netto-Vermögen von allen Deutschen beschrieben, sondern das durchschnittliche Nettovermögen der ärmeren Menschen bis zum 50. Perzentil! Ein kleiner, aber doch deutlicher Unterschied.

Das bedeutet, dass die Aussage von Herrn Lauterbach prinzipiell richtig ist, denn er spricht ja von der „Hälfte der Bevölkerung“. Dennoch hat es ein kleines Geschmäckle, diese Zahlen nicht mit dem Median des Nettovermögens der Gesamtbevölkerung in Zusammenhang zu bringen. Und gleichzeitig den Vermögensaufbau „fast nur noch durch Erbe“ mit anzubringen.

Vermögensaufbau in Deutschland

In den nächsten Punkten soll dargestellt werden wie hoch die Sparquote der Deutschen ist, in was sie investieren und wie Millionäre eigentlich an ihr Vermögen gekommen sind.

Sparquote der Deutschen

Die Sparquote in Deutschland lag 2019 laut statista bei knapp unter 11%.

Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/2699/umfrage/entwicklung-der-sparquote-privater-haushalte-seit-1991/

Dabei reden wir über 219 Milliarden Euro. Das ist auf den ersten Blick gar nicht so schlecht. Rücklagen zu bilden, ist wichtig!

Doch wie investieren die Deutschen ihr Vermögen?

Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/13314/umfrage/aktuell-genutzte-geldanlagen-der-deutschen/

Das sind Daten die Laut Statista im Jahre 2019 erhoben wurden. Und da wird es traurig. Der Großteil wandert auf Sparbücher, Girokonten, Lebensversicherungen, Bausparverträge etc. Anlagen, die keine bis kaum Rendite bringen.

Es ist wichtig, dass ein gewisser Teil des Vermögens in risikoarmen Anlagen steckt. Genauso wichtig ist es aber, dass ein gewisser Teil in Aktien oder ETFs liegt, damit sich das Vermögen auch vermehren kann. Denn sonst frisst die Inflation das Geld auf lange Sicht auf. Der Aktienanteil liegt aber nur bei 15% und die der Investmentfonds bei 22%!

Woher haben die Reichen ihr Vermögen?

Der zweite Punkt war, dass sich Vermögen fast nur noch durch Erbschaft aufbauen lässt, in Herrn Lauterbachs Tweet.

Auch ein Projekt vom DIW und der FU Berlin zeigte, dass die Reichen zu 2/3 sich ihr Vermögen selbst erarbeitet haben und 1/3 geerbt hat. Dabei wurden die unteren 99% der Vermögenden befragt. Nochmal: 66% haben sich ihr Vermögen selbst erarbeitet.

Also was sind die Beweggründe von Herrn Lauterbach diese Dinge so zusammenhängend zu posten?

Nun, der Staat braucht dringend Geld und was erfährt am meisten Akzeptanz in der durchschnittlichen Bevölkerung? Genau, es sich von den Reichen als Reichensteuer/Erbschaftssteuer zu holen.

Warum nicht mal mit Eigenverantwortung versuchen? Wege wie dem Privatanleger besser geholfen werden könnte…

Finanzbildung schon in der Schule vermitteln! Nicht nur Import/Export, sondern tatsächlich der persönliche Vermögensaufbau. Der Unterschied zwischen Investments und Verbindlichkeiten (Stichwort Eigenheim auf dem Lande). Dann wäre der Aktienanteil in der Vermögensbildung auch höher.

Aktien bzw. ETFs sind per se nicht böse. Man muss nur wissen was man tut. Damit sind wir wieder bei der Finanzbildung.

Erhöhung des Freibetrages für Kapitalerträge für Privatpersonen! Damit das Geld auch noch mehr für uns arbeiten kann.

Besteuerung in Form der Vorabpauschale von thesaurierenden ETFs rückgängig machen, sondern erst dann Steuerzahlungen bei der Auszahlung erheben. Oder werden Immobilien, die im Wert steigen (ohne das sie verkauft werden) etwa auch jährlich zusätzlich besteuert? Das ist für die Vermögensbildung und den Zinseszins-Effekt nicht förderlich.

Erst kürzlich hatte ich gelesen (finde aber leider die Quelle nicht mehr), dass die Versicherungsgesellschaften an der privaten Vorsorge mit ETFs teilhaben möchten und diesbezüglich Lobbyarbeit in der Politik betreiben. Natürlich haben die Versicherungsgesellschaften dabei nur unser Wohlergehen im Blick und nicht deren zusätzliche Einnahmen. Wer die Quelle dazu hat, gerne in den Kommentaren posten!

So. Genug Senf für den Sonntag.

In diesem Sinne: maximale Selbstverantwortung und Bildung!

Anna

Dieser Beitrag hat 8 Kommentare

  1. Finanzbär

    Coole Übersicht 🙂 Da bin ich ja froh eine Ausnahme zu sein!

  2. Queen All

    Die Themen Eigenverantwortung und Finanzbildung treiben mich auch immer wieder um, auch wenn wir gewollt kinderlos sind. Ich habe es selbst erlebt, über Geld spricht man nicht und wieso sollte man mit dem unmündigen Kind über Vermögensaufbau und Co. reden…
    Zum Glück kann man sich vieles selbst beibringen und kommt heutzutage sehr leicht an Informationen. Trotzdem ärgert es mich, dass das ganze Thema in der Schule ausgeklammert wird. Dabei kann man doch gar nicht früh genug anfangen, vor allem wenn wir weiter an dem jetzigen Rentensystem festhalten. Jetzt fehlt nur noch die zündende Idee, wie man junge Menschen noch früher für solche Themen begeistern kann.

    1. Finanzmedicus

      Danke für deine Rückmeldung.
      Ich habe den Eindruck, dass sich die Denkweise „Über Geld spricht man nicht“ langsam wandelt. Viel zu tun ist trotzdem noch. Fatal ist es natürlich, wenn man mit den eigenen Kindern nicht über Geld und Vermögensaufbau spricht – wobei ich mir vorstellen kann, dass es teilweise die Eltern selbst nicht so genau wissen, wie es funktioniert.
      Zum Thema Schule: Ich bin definitiv auch dafür, dass die Themen Geld und Vermögensaufbau dort hingehören und zwar so, dass es Spaß macht. Die Frage ist: Wer soll das lehren? Wahrscheinlich müssten die Lehrer selbst nochmal die Schulband drücken oder sie behelfen sich mit YT-Videos… Denn rein an der Statistik, wieviele Menschen in Deutschland in Aktien bzw. ETFs investieren, sieht man, dass da noch viel Aufklärungsbedarf ist. Wobei es einzelne Finanzblogger gibt, die auch an Schulen gehen. Ich habe letztens einen Artikel über Prof. Walz gelesen, der an einem Gymnasium über Finanzbildung gesprochen hat. https://hartmutwalz.de/das-darf-schule-machen-neutrale-und-unabhaengige-finanzbildung-fuer-jugendliche/

  3. Rappo

    Interessanter Artikel, sauber recherchiert und vernünftige Quellenangaben.
    So müssen Finanzblogartikel sein, dann lese ich sie gerne.

    Vielen Dank für Deine Mühe.

    Des Weiteren zeigt dies, mM nach, auch gut die Kommunikationsstrategie von Herrn Lauterbach auf. Er nutzt richtige Fakten – jedoch schustert er die in so eine, kontext zusammen, dass das alles tendenziös, gefährlich und aufregend wirkt. Clickbaiter und Populisten machen sowas auch gerne.

    1. Finanzmedicus

      Vielen Dank für dein Feedback! Das freut mich sehr.
      Ich bin tatsächlich bemüht Aussagen mit Quellen zu belegen, alles andere wäre Mutmaßung.
      Ja, diese tendenziöse und gefährliche Berichterstattung hat uns in den letzten 2 Jahren viel Ärger eingebracht (generell gesprochen) und das wird sich noch verschärfen durch die Ukraine- und Energiekrise.

  4. Ulf Zawinul

    Sehr guter Beitrag, der hoffentlich von vielen gelesen wird. Doch die Frage als Überschrift zur Geldanlage („Doch wie investieren die Deutschen ihr Vermögen ?) ist falsch oder zumindest irreführend.
    Denn tatsächlich wurde danach gefragt, welche Möglichkeiten der Geldanlage aktuell genutzt würden.
    Das Ergebnis beantwortet nicht die Frage, wie die Befragten ihr Vermögen investieren, also die Verteilung des Vermögens auf die Anlageklassen.
    Die traurige Schlussfolgerung ist trotzdem leider richtig. Der größte Teil liegt bekanntlich in Sichteinlagen oder sonstigen risikoarmen Anlagen, wie man z.B. aus der folgenden Statistik entnehmen kann.
    https://www.beratungslounge.de/deutsche-privathaushalte-meister-im-sparen-abgeschlagen-beim-vermoegen/
    Übrigens sollte man die DIW-Verlautbarungen immer mit Skepsis betrachten, denn das sind Unterstützer der desaströsen EZB-Politik.

  5. Noah

    Stimme Dir absolut zu! „Vermögen lässt sich fast nur noch durch Erbe aufbauen“ – wow, da läuft es mir als jemand der viel arbeitet und einige Firmen selber versucht hat aufzubauen kalt den Rücken herunter. Ich wohne in Singapore und sehe alles was in Deutschland passiert aus einer gewissen „Ferne“. Ich liebe Deutschland, aber finde einige Dinge gehen nicht in die richtige Richtung. Das Land wird immer sozialistischer und die Politiker nehmen oder bekommen immer mehr Einfluss. Die Energiepolitik ist haare-raufend. Ich finde es super dass Du das objektiv aufgreifst und besprichst! LG aus Singapore, Noah

    1. Hi Noah,
      vielen Dank für dein Feedback. Ja, die Aussage, dass sich Vermögen fast nur noch durch ein Erbe aufbauen lässt, ist echt daneben. Zumal hier wieder das Narrativ des reichen Erben bedient wird, mit dem dann wieder Sozialneid erzeugt wird.
      Von der Ferne bekommt man sicherlich nochmal einen anderen Blick. Was mir persönlich total aufstößt, ist die Generationenungerechtigkeit was die Sozialsysteme anbelangt, allen voran das Rentensystem. Das Rentensystem funktioniert so einfach nicht mehr, dennoch lässt man es weiterlaufen und macht der größten Wählergruppe (nämlich den Rentnern) immer wieder neue Rentengeschenke. Gleichzeitig erhöhen sich die Beiträge für die jüngere Generation, die aus dem Rententopf noch viel weniger herausbekommen wird. Das ist echt traurig. Mal davon abgesehen, dass Politiker immer wieder betonen, wie wichtig private Altersvorsorge ist, aber dem kleinen Privatanleger wieder Steuern draufbrummen wollen. Da komme ich irgendwann nicht mehr mit.
      Wie stellt du fest, dass Politiker immer mehr Einfluss bekommen?
      LG Anna

Schreibe einen Kommentar