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Wir sind doch alle längst gleichberechtigt! Alexandra Zykunov

Das Buch “ Wir sind doch alle längst gleichberechtigt! 25 Bullshitsätze und wie wir sie endlich zerlegen “ von Alexandra Zykunov ist mir durch Zufall im Urlaub über den Weg gelaufen. Da ich hin und wieder über Gender Pay Gap oder Frauen und Karriere schreibe, hat dieses Buch mein Interesse geweckt. Aus dem Umfeld bekomme ich auch immer wieder diverse Geschichten zu hören bzw. durfte schon selbst hautnah einige Bullshitsätze miterleben. Das alles in geballter Form zu lesen, war teilweise echt hart. Von Care-Arbeit bis zur Situation von Alleinerziehenden ist alles dabei. Es ist nicht das typische Finanz- oder Mindsetbuch, was ich hier sonst vorstelle, aber es hat gesellschaftlich und wirtschaftlich einige Sprengkraft, daher meine Rezension dazu.

Technische Daten zu „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!

Das Buch ist im März 2022 Ullsteinverlag erschienen. Verfasst wurde es von Alexandra Zykunov und sie hat ihre recherchierten Daten auf 284 Seiten gepackt mit einem sauberen Quellenverzeichnis am Ende des Buches. Kostenpunkt liegt bei 10,99 €.

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Gedanken aus dem Buch

Strukturelle Benachteiligung von Frauen

Im Kapitel „Übertreib mal nicht, Frauen werden hier doch nicht unterdrückt!“ wird eben dieser Satz zerlegt. Dazu ein Zitat aus dem Buch, was das ein einigen Beispielen überhaupt bedeutet.

„Wir wissen aus der modernen Gender-Forschung ja auch längst, dass die Wissenschaft jahrhundertelang weibliche Erfinderinnen buchstäblich aus den Geschichtsbüchern herausgestrichen hat oder ihre Patente nicht anerkannt und Jahre später männlichen Erfindern zugeschrieben hat; wir wissen, dass Politik und Gesetzgebung überwiegend von Männern für Männer gemacht werden; dass Medizin sich bei Medikamentation und Therapie-Empfehlungen an dem weißen, europäischen, männlichen Körper orientiert; dass Themen wie Menstruation, Geburt, Müttersterblichkeit, Herzinfarkte bei Frauen, Verhütungsmittel für den Mann weniger erforscht sind (…); dass Mobiltelefone für weiße, europäische Männerhände, FFP2-Masken für Männergesichter und Autos für die Sicherheit von weißen, europäischen Männerkörpern konzipiert werden. Die Politikwissenschaftlerin Emilia Roig geht sogar davon aus, dass es buchstäblich keinen einzigen gesellschaftlichen Bereich gibt, in dem der weiße, heterosexuelle cis-Mann nicht als die „Norm“ angesehen wird.“

Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!; Alexandra Zykunov, S. 49-50

Das kann ich tatsächlich aus der Medizin bestätigen. Bestes Beispiel ist der Herzinfarkt bei Frauen. Als ich noch zur Uni ging (das klingt jetzt doch irgendwie furchtbar alt, ist aber noch nicht soo lange her), wurden die „typischen Symptome“ eines Herzinfarktes (drückende Schmerzen hinter dem Brustbein und deren Variationen) gelehrt, mit der Ausnahme der Diabeter, da sich hier nicht unbedingt Schmerzen äußern müssen, sondern andere Beschwerden auftreten können. Erst in den letzten Jahren wurde überhaupt verstanden, dass der Herzinfarkt bei Frauen sich in der Form nicht unbedingt äußert, sondern ganz andere Symptome im Vordergrund stehen – und zwar häufiger als beim Mann (Quelle). Das kann dazu führen, dass der Herzinfarkt bei Frauen später erkannt wird und damit die Folgeerkrankungen schlimmer sind.

Frauen und Macht

„Geld ist gleich Macht, und Frauen wurden seit Jahrtausenden von Macht ferngehalten. Macht ist kein typisch weibliches Attribut, weswegen eine Frau, die nach mehr Geld aka Macht strebt, per se schon mal unsympathisch erscheint. Und zwar für Männer und Frauen gleichermaßen. Das sieht man auch daran, wenn Politikerinnen, die nach Macht streben, Gefühlskälte attestiert wird. Hillary Clinton hatte das Problem, Julia Gillard hatte das Problem, Annalena Baerbock hatte das Problem. Treten sie hingegen als besonders gefühlsbetont auf, sind sie zwar typisch „weiblich“ und sympathisch, laufen aber Gefahr „zu emotional“ zu wirken. „Frauen erfahren im Beruf oft eine Art Dilemma“, fasst es Genderforscherin Franziska Schutzbach zusammen: „Zeigen sie zu viel Gefühl, sind sie keine richtige Führungspersönlichkeit, zeigen sie zu wenig, sind sie keine richtige Frau.“

Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!; Alexandra Zykunov, S. 157-158

Also haben Frauen die Wahl zwischen gut bezahlt + unsympathisch und unterbezahlt + sympathisch. Die Autorin hat sich mittlerweile einen Textbaustein zurechtgelegt, mit dem sie ihren Einstieg findet in Verhandlungen über Honorare, Gehaltserhöhungen etc, OHNE dabei unsympathisch rüberzukommen. Das sind übrigens Dinge, über die sich ein Mann keine Gedanken machen muss, im Gegenteil, es wird positiv ausgelegt.

Folgende Formulierung schlägt sie in etwa vor:

„Hey, kann ich dich etwas fragen? Du weißt, ich bin ja immer der Meinung, dass Frauen viel zu wenig über Geld reden und daher auch viel weniger verdienen, also: Können wir uns über Summe X, das Honorar Y oder die Gehaltserhöhung Z unterhalten?“

Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!; Alexandra Zykunov, S. 160

Unsichtbare Care-Arbeit

Auseinandergenommen wird der Bullshitsatz: „Er arbeitet voll, sie nur Teilzeit – ist doch klar, dass sie zu Hause mehr übernimmt.“ Das sagen Frauen und Männer übrigens gleichermaßen. Was das aber real bedeutet, kommt im folgenden Zitat ganz gut heraus:

„Es gibt einen triftigen Grund, warum wir hier an unsere alltäglichen Formulierungen ranmüssen und aufhören sollten von „Arbeit“ einerseits und „Zuhausesein“ andererseits zu sprechen oder Sätze zu formulieren wie „Nein, ich arbeite gerade nicht, ich bin in Elternzeit“ oder Eltern, die nachmittags das Büro verlassen, „einen schönen Feierabend“ zu wünschen. Klar, ist nett gemeint, und der Nachmittag wird je nach Stimmung sicherlich schön werden, aber ein Feierabend ist er ganz sicher nicht. Und wir also stattdessen anfangen sollten Begriffe wie Erwerbsarbeit und Care-oder Sorgearbeit zu verwenden. Denn es gilt auch hier: Sprache schafft Realitäten.(…) Denn natürlich ist Care-Arbeit auch Arbeit, egal, ob sie Vollzeit oder Teilzeit ausgeübt wird. Eine Arbeit übrigens, die nicht selten um fünf Uhr beginnt und bis nach 22 Uhr andauert. Gerne auch inklusive Nachtschicht(…).“

Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!; Alexandra Zykunov, S. 30-31

Sprache schafft Realität – ganz wichtiger Satz! Wenn wir weiterhin sagen, dass die Frau ja „den ganzen Tag mit den Kindern zu Hause ist“ und damit die viele Arbeit nicht sehen, wird sich nicht viel ändern in Bezug auf Wertschätzung, Freizeit, Entlohnung und Altersarmut bei Frauen.

Fazit zu „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!“

In vereinzelten Punkten stimme ich nicht ganz mit der Autorin überein, denn an manchen Stellen wird zu wenig auf die persönliche Verantwortung eingegangen. Im Kapitel über den Bullshitsatz „Viele Mütter basteln und nähen nun mal gern. Lass sie doch!“ geht es um einen quasi-Gruppenzwang bzgl. der DIY-Dinge, wie Adventskalender basteln, selbstgemachte Schultüten etc. Gerade durch das Posten dieser Bilder in den sozialen Medien wird wiederum „Druck“ auf Mütter aufgebaut (bzw. sich die Mütter diesen selbst machen), um ihren Kindern nichts „vorzuenthalten“. Da sollte auch eine Portion Eigenverantwortung eine Rolle spielen und eigene Grenzen definiert werden. Es ist eine bewusste Entscheidung bei den DIY-Sachen NICHT alles (oder überhaupt irgendetwas) mitzumachen, wenn es zeitlich, mental oder finanziell nicht ins Budget passt. Es ist eine bewusste Entscheidung sich davon abzugrenzen und dazu auch zu stehen.

Ich möchte dieses Buch „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!“ einfach Frauen wie Männern ans Herz legen. Vor allem die Männer sollten sich durch dieses Buch kämpfen, denn es wird an einigen Stellen sehr hart werden (wenn man sich angegriffen fühlt), um die Gesamtsituation von Care-arbeitenden Frauen, die die Kinder hüten und herbe Abstriche bei Karriere und Geld machen müssen (und das auch schon ohne Kinder), besser verstehen zu können. Und gemeinsam etwas verändern zu können.

Ich hatte das Buch größtenteils auf der Heimreise nach unserem Urlaub gelesen und dabei einiges an Zeit mit meinem Mann über die Inhalte zu diskutieren. Das war echt spannend – für beide Seiten.

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Viel Spaß beim Lesen!

Anna

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